Briefkopf

Meredosia, 11. August 1880
Geliebte Tante
Da Ihr nichts von Euch hören lasset, so müssen wir wohl wieder die Schreiberei in Anregung bringen. -

Wir sind Gott Lob noch alle gesund und munter. Dasselbe hoffen wir auch von Euch. Wie Ihr bereits wisst studire ich auf einem Schullehrer-Seminar. Augenblicklich haben wir 8 Wochen Ferien. Während dieser Zeit halte ich mich bei meinen lieben Eltern und Geschwistern auf. Arbeiten d. h. körperliche Arbeiten verrichte ich keine und zwar aus dem Grunde, weil ich solches zu thun nicht mehr gut aushalten kann. Um so mehr Zeit habe ich daher jetzt, Euch allerlei Neuigkeiten mitzutheilen.

Drei Jahre lang habe ich bereits studiert. In den zwei nächsten Jahren hoffe ich mit Gottes Hülfe mein Studium zu vollenden. Um ein Jahr studieren zu können, gebrauche ich etwa 125 Dollar. Das meiste Geld, das mir so aufgehen wird, hatte ich schon vorher verdient. Auf diesem Seminar lerne ich noch sehr billig, weil dasselbe eine Anstalt eines lutherischen Verbandes (Missouri Synode) ist. Die Gemeinden dieser Körperschaft unterstützen ihre Lehr-Anstalten so, daß es dem Einzelnen nicht zu schwer fällt, dieselben als Schüler zu betreten.

Unsere Eltern freuen sich noch immer, daß sie hier sind. Auch dieses Jahr haben sie eine reiche Ernte. Den Weizen haben sie um die Hälfte gedroschen. Sie werden im Ganzen zwischen 8 und 9 hundert Buschel bekommen. Die Preisen sind hier nur niedrig. Der Weizen kosten 85 - 90 Cents. Nun denkt Ihr vielleicht, wo wollen die Leute mit dem vielen Gelde hin? Wahr ist es, sie bekommen eine schöne Summe in die Hände aber doch nur auf kurze Zeit. Bedenkt, sie müssen nahezu 400 Dollar Zinsen aufbringen. Dann noch allerlei, was an der Farmerei drum und dran hängt von jener Summe bezahlen. Um den Ackerbau ordentlich betreiben zu künnen, muß man hier viel größere und theuere Ackergeräthe haben als es bei Euch der Fall ist. Meine Eltern z. B. haben diesen Sommer mit ihrem Nachbar in Gemeinschaft ein Mähmaschiene, die das Getreide selbst mit Draht bindet, gekauft für 265 Dollar. Auch gehört ihnen ein Theil von einer Dreschmaschienen, die von 10 Pferden gezogen wird. Ferner gehören ihre drei, darunter mein Vater, zu einem Korn-oder Welschkornschäler, der auch nahezu 300 Dollar gekostet. Nun noch so viele andere Gegenstände, ohne die sie gar den Ackerbau hier nicht betreiben könnten, müßen bezahlt werden, wenn die alten abgenutzt sind. So haben meine Eltern einen Weizensäer, eine Maschiene mit 2 Rädern, der auch 50 Dollar gekostet, so einen Welschkornpflanzer, eine so künstliche Maschiene, die das Welschkorn so genau pflanzt, daß die Reihen nach allen vier Weltgegenden so schnurgerade stehen, wie bei Euch die Tannenwälder, die nach der Schnur gepflanzt sind. Auch haben meine Eltern einige Pflüge, die benahe 25 Dollar das Stück kosten. Auf diese Weise hat hier der Landmann viel Geld anzulegen. Nun sagt Ihr vielleicht, warum fängt er nicht kleiner an? Ja, wenn man das auch noch so gern wollte, so erlauben die hiesigen Verhältniße das nicht. Bei Euch könnte man mit den soeben angeführten Maschienen nichts anfangen und umgekehrt, hier auch nichts mit Euren Pflügen u.s.w.

Ob nun die Ausgaben, die hier ein jeder Farmer hat, sehr groß sind, so sind meine Eltern bis soweit noch im Stande gewesen, dieselben zu bestreiten. Sie haben noch alle Jahre ein geringes von ihrer Schuld abbezahlt. Der alte Großvater (der alte Böhs) und Vater arbeiten lustig drauf los. Sie sprechen oft von Deutschland, wie es dem und dem wohl ginge und wie es da oder da wohl aussähe. So kommen sie dann soweit, daß sie sagen wie ich auch oft selbst thue: Ich möchte mal wieder hin aber blos zum Besuch.

Wie unsere Mamma sich freut, daß wir alle nach Amerika gekommen, kann ich Euch kaum schreiben. Wenn sie daran denkt, daß wir Jungens alle hätten Soldaten werden müssen und dann in den Bauernkotten, wo es doch jetzt ganz anders um uns steht, so wird sie ganz froh. Und abgesehen hiervon, sie muß hier noch wohl arbeiten aber doch nicht im Felde. Dazu hat sie von den Mädchen schon eine solche Hülfe bei ihrer häuslichen Arbeit, daß sie nichts mehr zu thun brauchte als die Mädchen anzuleiten. Minna ist ja schon confirmirt. Sie ist noch hier bei der Mutter. Wenn Minna noch ein paar Jahre so am Wachsen bleibt, wie sie es in den letzten Jahren gethan, so ist sie so groß und stark als Eure Louise. Maria und die kleine Louise gehen alle Tage in die Schule und lernen Deutsch und Englisch.

Christian und H. Placke arbeiten gemeinschaftlich. Sie haben ein Stück Land gepachtet, darauf steht ein großes Haus, in dem sie beiden mit ihren Weiblein wohnen. Christian hatte sich vor kurzer Zeit auch eine Farm gekauft für 5600 Dollar, als aber die Papiere gemacht werden sollten, wollte der Verkäufer, ein alter Amerikaner voller Kniffe, noch mehr haben und so ging der ganze Handel den Krebsgang.

Heinrich hat auch diesen Sommer für sich gearbeitet. Er geht beim Christian in die Kost. Doch wie es scheint, gefällt es ihm nicht mehr, so allein zu stehen in der Welt. Er hat sich unter dem weiblichen Geschlecht umgesehen und siehe, er hat eine gefunden, mit der er sein Lebensglück theilen will. Nächsten Frühjahr so Gott will wird er Euch alle zur Hochzeit einladen.

Fritz ist auch ein ganzer Kerl geworden. Er dient bei W. Rögge, dem Nachbarn unserer Eltern. Bei diesem Farmer war H. Placke alle die Jahre hindurch ehe er ein Weib hatte.

H. Placke hat seinem Vater geschrieben, wenn er noch je nach Amerika kommen wollte, so sollte er nächstes Frühjahr kommen. Dieses, meinte unsere Mamma und auch wir alle, wäre eine Gelegenheit für Euch, wen Euer Fritz kommen wollte und wenn die Maria von der Mutter fort kann, wohlan wir heißen sie willkommen und wir heißen nicht nur sie willkommen, sondern Eure ganze Familie so wie Ihr noch da seid. Ich sage, wir heißen Euch willkommen, ich sage nicht, daß Ihr kommen sollt. Wir möchten keinen von Euch hierher nöthigen und dann nachher die Vorwürfe hören, warum habt Ihr uns nicht da gelassen.

Soviel bleibt aber gewiß, für die geringeren Leute wie wir sind, ist es hier bedeutend besser als in Deutschland. Da müssen sie sich ihr Lebtag für den Bauern quälen und wen's damit noch gut wäre, wie oft müssen sie dabei noch hören, wenn's Dir bei uns nicht mehr gefällt kannst du ja ausziehen. Wirklich, der deutsche Bauer ist ein eigenthümliches Thier unter der Sonne. Nun gut, wenn man Leute von da kommen lassen will, so lasse man lauter Heuerlinge, die sich da ordentlich geplagt haben, kommen. Diesen Leuten gefällt es hier auf dem Lande ganz gewiß und solche werden hier wenn auch nicht gerade reich doch wohl bemittelt. Es wird gewiß noch in Frage zu stellen sein, ob der alte W. Placke kommt. Wenn Ihr Euren Fritz kommen lassen wollt, so ist unser aller Meinung die, je eher je besser. Nehmt daher die Gelegenheit wahr. Wohlgesitteten Jünglingen, die hierhin kommen wollen mit der Absicht fleißig zu arbeiten, könnte man noch wohl zureden und sie zu ihrem Vorhaben ermuthigen. Der Lohn ist hier doch bedeutend höher als da. Wenn Euer Fritz auch erst noch nicht die Arbeit eines Knechts thun kann, er kann immer noch mehr dabei übrig haben als er da gar nichts verdient.
Nun, Ihr müßt es selbst wissen.

Wir grüßen Euch alle recht herzlich. Vergesset nun aber nicht, wiederzuschreiben. Grüßt Brunsmanns, Placken und Ahlbrands.
Mit herzlichem Gruß erfleht für Euch Gottes Segen

W. Helmkamp
Brieffuü

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